Ich bin mehr als Hörgeschädigt – Meine besonderen Stärken

Tagesseminar mit Vera Starke am 28. Oktober 2017

Zum Beginn der Herbstferien und damit verbunden einem Wochenende meines Sohnes bei Freunden in Franken hatte ich mir überlegt, wie ich das Praktische (wie bringe ich meinen Sohn am Besten dort hin) mit dem Nützlichen (was mache ich dann an diesem Wochenende?) verbinden könnte – und wurde bei der SHG OhrRing in Bamberg fündig. Dort wurde ein Seminar mit Vera Starke angeboten: „Ich bin mehr als Hörgeschädigt – Meine besonderen Stärken“. Da ich schon öfters von Vera (und nur Gutes!) gehört hatte, nahm ich Kontakt mit Margit Gamberoni, der Leiterin der Bamberger Gruppe auf, und hurra! Es war noch ein Platz für mich frei.

So machte ich mich am Samstag morgen auf den Weg nach Bamberg und wurde dort herzlich und mit offenen Armen begrüßt. Vera nahm uns für einige Stunden mit auf eine Entdeckungsreise zu den Themen Gelassenheit, Selbstbewusstsein und Dankbarkeit. Doch bevor wir tatsächlich anfingen, machte Vera uns gleich klar: Unsere Hörschädigung ist zwar unter uns, gleichsam in einer Wolke, doch sie ist nicht unser heutiges Thema. Deshalb wurde das Blatt mit der Aufschrift „Meine Hörschädigung gehört zu mir“ in einer Ecke des Raumes abgelegt. Ein symbolischer Akt – und sehr wirksam!

       Vera Starke führt durch den Tag

Unsere Hörschädigung in einer Wolke (Blatt auf dem Drucker), anwesend und doch nicht wichtig

Nimm dich nicht so wichtig

Doch dann ging es in die Vollen: Wie definieren wir Gelassenheit? Von „ruhig bleiben“, „Sich nicht so wichtig nehmen“ (nach Johannes XXIII.), „abschalten können“ bis zu „Mut, Neues auszuprobieren“ kamen viele Vorschläge. Franz Beckenbauer hat hier auch einen bekannten Spruch: „Schaun mer mal…“. Letztendlich ist Gelassenheit eine innere Einstellung, die sich auch gut üben lässt. Das nächste Thema war Selbstbewusstsein. Nach einem weiteren Brainstorming bekamen wir die sieben Geheimnisse selbstbewusster Menschen: 1. Sich nicht mit anderen Menschen vergleichen, sondern auf sich selbst konzentrieren. 2. Aktiv den Kontakt zu anderen Menschen suchen, sich nicht in der Einsamkeit vergraben. 3. Sich erreichbare Ziele setzen. 4. Erfolge feiern – auch kleine! Anerkennung erhalten. 5. Kritik als Teil des Lebens anerkennen. 6. Auch mal „nein“ sagen. 7. Die gegebenen Versprechen einhalten. Man könnte alles auch in wenigen Worten zusammenfassen: Ich bin ok. So wie ich bin.

   

 

Zu jedem Seminar gehören Kaffeepausen – aber nicht immer sind sie so reichhaltig wie bei den Bambergern!

Nach einer Kaffeepause mit reichhaltiger Stärkung (wow!) wurden wir dann gefragt, ob wir unserem Spiegelbild auch schon mal freundlich „Guten Morgen“ sagen? Eine Teilnehmerin antwortete, sie hätte ihrem morgendlichen Spiegelbild schon mal die Zunge rausgestreckt … Hintergrund der Frage: „Mein bester Freund bin ich!“ – wir näherten uns da schon dem Titel des Seminars. Stärken finden – wie habe ich eine herausfordernde Situation gemeistert? Zur Frage „Wann habe ich zum letzten Mal etwas Gutes hinbekommen?“ durfte jeder Teilnehmer seinen Beitrag geben – hierfür bekamen wir von Vera jeweils ein Stichwort, z.B. Selbstfürsorge, Zuhören, … Zusammenfassend brachte Vera hier einen bewussten Schreibfehler: Eigenlob stimmt! Ab und zu darf und muss das sein. Vor allem, wenn es mit anderen geteilt wird: Geteilte Freude ist doppelte Freude – und tut gut!

Tagesrückblick mit Tagebuch

Ein wichtiger Baustein für unsere Zufriedenheit, für unser Glück ist die Dankbarkeit. Auch die Dankbarkeit lässt sich ein Stück weit lernen. Vera empfahl uns, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen. Jeden Abend kurz den Tag Revue passieren lassen: Wofür kann ich heute dankbar sein? Oft ist es so, dass das Negative viel stärker hängen bleibt und das Positive „übertönt“ – doch das Positive macht etwas mit uns, mit unserem Gehirn. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Und wenn wir dieses Tagebuch eine Weile geführt haben, kommt doch einiges zusammen. Das kann uns in schlechten Zeiten einen positiven Schub geben: Es geht!

Zum Abschluss der vormittäglichen Einheit wurden wir eingeladen, uns auf ein sinnliches Experiment einzulassen: Ein Schnapsglas voll flüssiger Frucht (neudeutsch: Smoothie) wurde uns serviert (Vera: „Das ist kein Schnaps!!“), und wir sollten zunächst einmal daran riechen. Welche Assoziationen kommen hoch? Was riechen wir? Dann durften wir auch kosten – und: welche Bilder kommen vor unser inneres Auge? Interessant, wie unterschiedlich die Reaktionen waren!

Nach dem Spaziergang zum Mahr’s Bräu und einem reichhaltigen Mittagessen dort waren wir, gut durchgelüftet, bereit für die zweite Runde „Meine besonderen Stärken“ mit Vera Starke.

Wie reden wir eigentlich miteinander?

Wichtig für ein gutes Miteinander ist auch die Kommunikation. Es gibt Sätze, die sind ein absoluter Gesprächs- und Beziehungskiller. Immer machst du … das ist mal wieder typisch … Nie machst du … Wir sollten versuchen, uns selbst hier ein bisschen zurückzunehmen, vielleicht mal kurz durchatmen und dann versuchen, die Botschaft etwas anders zu übermitteln, am besten als Ich-Botschaft. Diese ist in vier Teile aufgebaut: Beobachtung – Gefühl – Bedürfnis – Wunsch. Ein konkretes Beispiel: Das Gegenüber ist mal wieder am Handy beschäftigt. Das ärgert mich natürlich. Wenn ich mich nun aufrege: Das ist mal wieder typisch, sind beide Parteien schlecht gelaunt, und das Gespräch ist gelaufen. Wenn ich nun aber versuche, meine Botschaft anders rüberzubringen: „Ich sehe, du schaust gerade in dein Handy (Beobachtung). Das macht mich traurig (Gefühl), weil ich dir etwas Wichtiges erzählen möchte (Bedürfnis) Ich wünsche mir dafür deine ungeteilte Aufmerksamkeit (Wunsch)“, dann bekommt das Gespräch gleich eine ganz andere Basis.

Als Nächstes betrachteten wir das Thema „Resilienz“ – und wie wir selbst Resilienz üben können. Resilienz bedeutet die Fähigkeit, mit Veränderungen umgehen zu können und von außen kommende Störungen auszugleichen. Resiliente Menschen können z.B. Unangenehmes leichter von sich abprallen lassen. Hierzu hilft vielen Menschen, sich eines von mehreren Bildern vorzustellen: Einmal die Vorstellung, man hat um sich herum ein unsichtbares Panzerglas. Durch dieses Glas kann nichts Gefährliches dringen. Man ist geschützt und die Angriffe können einem nichts anhaben. Andererseits gibt es die Möglichkeit, sich einen kleinen geschützten Garten mit einer abschließbaren Pforte vorzustellen: Man selbst ist in diesem Garten geschützt, geborgen, niemand kann einem zu nahe kommen – doch man kann alles wahrnehmen und hören, was geschieht. Man selbst entscheidet, wer durch die Pforte kommen darf und wer nicht. Für Menschen, die mit diesen Bildern nicht so viel anfangen können, gibt es auch die Möglichkeit, sich selbst zu suggerieren: „Das hat jetzt nichts mit mir zu tun“, „Darauf gehe ich jetzt nicht ein“ oder „Das lasse ich beim anderen“.

 

Duft löst Emotionen aus

Zum Ende hin wurde nochmals der emotionale Teil in uns angesprochen: Mit einem Wattepad ausgestattet, auf den ein intensiver Duft aufgetropft wurde, sollten wir die Bilder, die in uns beim Riechen entstehen, aufs Papier bringen. Anschließend wurden wir aufgefordert, die Bilder unseres Nebenmanns zu beschreiben – und unser eigenes aufzulösen. Auch hier war es wieder spannend zu beobachten, was ein und derselbe Duft für verschiedene Reaktionen auslöste.

Dann war das Tagesseminar auch schon zu Ende, Vera Starke bekam Bamberger Pralinen als Dankeschön und legte uns nochmal ans Herz, wirklich ein Dankbarkeitstagebuch zu führen, es wurde gemeinsam aufgeräumt, die Tische wieder an ihren Platz gestellt, das Geschirr in der kleinen Küche gespült (wenn 5 Leute auf 2 m2 Platz haben, geht das schnell!) und nach dem großen Abschiednehmen löste sich die Gruppe auf.

Vielen Dank nochmal von meiner Seite, es war ein sehr interessantes Seminar mit interessanten Personen und Gesprächen, vielen Dank für die Offenheit in dieser Runde und vielen Dank an den Runden Tisch der Krankenkassen, der dieses Seminar finanziert und möglich gemacht hat.

Stephanie Kaut

Ravensburg

 

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